Ich verstehe deine Ängste nicht

Ich verstehe deine Ängste nicht! (Triggerwarnung)

Ein Fallschirmspringer wird jemanden mit Höhenangst nicht verstehen.
Ein Spinnenzüchter wird die Angst eines Menschen mit Spinnenphobie nicht verstehen.
Ein Schlangenbesitzer wird einen Menschen mit Schlangenphobie nicht verstehen.

Aber das ist doch auch ganz normal. Wenn du nicht in der Situation bist, oder in dieser Angst lebst, wirst du gewisse Ängste einfach nicht nachvollziehen können.

Aktuell sind etwa 650 verschiedene Phobien an denen Menschen leiden und für jeden ist diese Angst real, ob man es nun nachvollziehen kann oder nicht.

Was hat das mit mir zu tun?

2012 wurde bei mir die Diagnose Acne Inversa gestellt. Bis heute habe ich dazu 18 Operationen hinter mir. Während einige schon bei einem kleinen Pickel in Panik verfallen, der von allein wieder weg geht, muss ein Abszess operativ entfernt werden.

Kannst du dir vorstellen 18 Mal unters Messer zu liegen?
Kannst du dir vorstellen die Narben davon zu tragen?

Und mit 18 eingriffen bin ich tatsächlich noch gut bedient, es gibt einige die es deutlich schlimmer trifft.

 

Aber warum hat man davor Angst?

Die Angst, dass man ständig an dir rum schnippelt, lässt irgendwann nach, die Narben sind nicht schön, aber werden irgendwann ein Teil von dir, denn sie erzählen meine Geschichte.

Natürlich lastet das an dem einen Tag schwerer, am anderen schwächer, aber die eigentliche Angst liegt, wo ganz anders. Ab einem gewissen Stadium und je nach Größe des Abszesses bilden sich sogenannte Fistelgänge. 

(Eine Fistel ist eine röhrenförmige Verbindung zwischen zwei Hohlorganen oder zwischen einem Hohlraum im Körper und der Körperoberfläche)

Diese füllen sich mit Eiter aus dem Abszess, können einen weiteren Abszess nicht unweit entstehen lassen, wie bei einer Kettenreaktion.

Leider verhalten sich nicht alles wie im Lehrbuch!

EIGENTLICH wachsen Abszesse nach außen… Die Betonung liegt auf EIGENTLICH.
Wie ich aber am eigenen Leib erfahren musste, hat jeder Körper seine eigenen Gesetze.
Ich hatte am Unterbauch über Jahre eine kleine Kapsel. Die war einfach da, tat nicht weh und störte mich auch nicht weiter. Wenn man mal eine gewisse Anzahl an Eingriffen hatte, sehnt man sich natürlich auch nicht nach einem weiteren. Wie leichtsinnig das aber tatsächlich war, musste ich irgendwann dann doch feststellen, denn irgendwann hat sich diese Kapsel von heut auf morgen entzündet und ist nicht wie im Lehrbuch nach außen gewachsen, sondern ist als Abszess nach innen gewachsen.

Als ich den Knopf der Hose vor Schmerzen nicht mehr schließen konnte, ging es dann ab ins Krankenhaus. Der Arzt sah sich die leichte Wölbung der Haut an und handelte wie ich sagen würde nach Lehrbuch. Zugsalbe, Pflaster und ganz entspannt ab nach Hause. Ich soll am nächsten Tag nochmal vorbeikommen und dann schauen wir uns das mal an.

Ich wusste aber, dass etwas Zugsalbe keine Besserung bringt.
Man kennt irgendwann seinen Körper und kann recht gut einschätzen, wie dick die Haut sein darf, dass eine Zugsalbe Linderung verschafft. Nunja, am nächsten Tag ging es dann zur Kontrolle. Als das Ganze dann mal richtig untersucht wurde, stellte sich eben raus, dass der Abszess nach innen gewachsen ist und ich umgehen operiert werden muss. Die Details dazu erspare ich euch an der Stelle. Es lief eben nicht alles so glatt und einfach wie ein normaler Abszess. Nach der OP hat man mir dann gesagt, dass es höchste Eisenbahn war und hätte ich noch länger gewartet, wäre es bis zur Blase gekommen und ich hätte eine Blutvergiftung gehabt.

Die Warnung, dass sich solche Abszesse eigentlich überall bilden können, u.a. auf der Lunge oder Darm und man sie dort evtl. nicht mal merkt, hat mich nicht grade beruhigt, sondern nach dem, was ich mit der Hoppla Hop OP erlebt, gefühlt und gedacht habe, eher fast gelähmt.

 

Aber warum erzähle ich den ganzen Käse eigentlich?

Jemand der noch nie einen Autounfall hatte und von einem anderen hört, dass dieser mal einen Unfall hatte, wird das Gefühl des Aufpralls niemals nachvollziehen können.
Er kann es sich vielleicht mit viel Empathie vorstellen, aber niemals nachvollziehen.

Es gibt aber immer wieder Mensch, die gewisse Dinge nie am eigenen Leib erlebt haben und dennoch super kluge Ratschläge für einen haben.

Der beste aller Ratschläge ist:
„Da darf man nicht so viel drüber nachdenken, es KANN passieren, muss aber nicht.“

Wenn du von so etwas betroffen bist, lebst du täglich in dem Wissen, es könnte sich irgendwo in dir etwas wächst, das dich unter Umständen morgen nicht mehr aufwachsen lässt. Natürlich muss es nicht passieren, natürlich kann jeder etwa in sich tragen, was er nicht weiß und man morgen nicht mehr aufwacht. Wenn du aber schon mehrfach operiert wurdest und es schon mal 5 vor 12 war, dann siehst du das ganze etwas anders.

Jeder könnte auch Krebs bekommen, aber derjenige, der ihn schon mal besiegt hat, läuft auch wachsamer durchs Leben.
Um es aber zu verdeutlichen, wie man sich fühlt bei so einer Angst lässt sich an einem kleinen Beispiel erklären.

Wenn ich durch den Dschungel laufe, könnte irgendwo eine giftige Schlange sein.
Wenn du aber eine Krankheit hast, die möglicherweise schlimmere Folgen haben kann, bist du nicht im Dschungel. Du fühlst dich, als würdest du mit einer Schlangenphobie in einem kleinen dunklen Raum ohne Türen mit einer schlafenden Schwarzen Mamba sitzen.

Ich meine, die Schlange schläft…. Könnte zwar aufwachen und dich beißen, aber hey, momentan schläft sie. Würde dich das etwa beruhigen?

Jeder Mensch hat vor irgendetwas Angst. Wie real diese Angst für einen ist, entscheidet kein außenstehender, sondern immer derjenige der davon betroffen ist.

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